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„Lernen en passant – lebensbreite Bildung“ und was das mit einem „new Learning Creator“ zu tun haben könnte

Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts habe ich in Bamberg ein Studium der Erwachsenenbildung bei Prof. Jost Reischmann erlebt. Er hat damals als Lehrstuhlinhaber aus dem Studium der Erwachsenenbildung das Studium der ‚Andragogik‚ gemacht. Das ist ihm aber nur temporär geglückt. Aber auch inhaltlich hat er seinerzeit zukunftsorientierte Schwerpunkte gesetzt. Eine methodenorientiere Ausbildung mit einer internationalen Ausrichtung verbunden mit der Vermittlung einer aufgeklärten Haltung zur Bildung von Erwachsenen.

Seit meinem Diplom im Jahr 1996 habe ich vielfach von der damals für eine Universität sehr praxisorientierte Ausbildung profitieren können. Hier wurde mit Theorie zur betrieblichen Weiterbildung, einem ‚Methodenkoffer‘ z.B. der (Metaplan-) Moderation und einer Idee eines Lern-Coachings die Grundlagen für mein heutiges Verständnis von Change & Transition gelegt.

Auf der Suche nach einer Arbeitgeberin war die Genossenschaft DATEV eG war für mich damals attraktiv, weil in der Organisation mein Herzensthema Lernen eine relevante Größe war. Die Abteilung Weiterbildung der DATEV, in die ich 1994 als Praktikant eingestiegen bin, hatte ein sehr modernes Verständnis von betrieblicher (IT-) Weiterbildung. Dabei stand seinerzeit überwiegend intentionale organisierte Weiterbildung mit ‚Kursangeboten‘ im Mittelpunkt.

Das Thema Lernen blieb in meiner beruflichen Biografie immer ein Thema. Aber die Intensität und die klare offene Artikulation darüber war doch sehr unterschiedlich. Seit 2018 mit der Idee von ‚Change & Transition‚ und der Kommunikation dazu z.B. mit den Hashtags #DATEVlernt und meinem Newsletter #Christianlernt ist Lernen in meinem (Berufs-) Alltag jetzt wirklich omnipräsent und intern wie extern sichtbar.

Für meinen ersten Newsletter #Christianlernt habe ich einen Ausschnitt des Transformationsbildes 2020 von Gunter Rubin gewählt, dass für mich die erlebte Veränderung auf den Punkt bringt. Arbeitszeit ist Lernzeit und Lernzeit ist Arbeitszeit. Eine Differenzierung wird für mich immer willkürlicher. Julia Bangerth hat das in ihrer Keynote ‚DATEVlernt – von Unlearn bis Veränderungsoptimismus‘ auf der auch wunderbar auf den Punkt gebracht.

Und irgendwann ist mir ein Begriff meines Hochschullehrers Prof. Jost Reischmann aus den 90er wieder eingefallen, mit der er das nicht intentionale Lernen beschrieben und besonders betont hat: Lernen ‚en passant‘.

In einem Artikel aus der Zeitschrift ‚Grundlagen der Weiterbildung‘ hat er 1995 seine Gedanken geteilt und via Homepage auch veröffentlicht. Darin diese kompakte Beschreibung des Begriffes Lernen ‚en passant‘:

„Charakeristika dieses Lernens sind: Es ist in Lebenszusammenhänge integriert, wenig verpflichtend, hoch individualistisch, selten vorhersehbar – erst im Nachhinein feststellbar, ganzheitlich, episodenhaft, multivalent, bedeutungsvoll und nützlich, oft erfolgreich ohne viel Mühe, mit weitem Spektrum von Support, auf Vorausgehendes aufbauend, und kann zu intentionalem Lernen führen.“

Jost Reischmann: Lernen „en passant“ – die vergessene Dimension. In: Grundlagen der Weiterbildung. 6Jg. Heft 4/95

Als ich diese Definition im Artikel wieder entdeckt habe, wurde mir klar, dass ich das seinerzeit gelesen, gelernt und auch geglaubt verstanden zu haben. Aber erst mit der Erfahrungen von ‚anderem‘ Lernen innnerhalb und außerhalb der Organisation der letzten Jahre kann ich die Kraft und Weitsicht der Aussagen wirklich verstehen. Und im Rückblick auf meine professionelle Biografie kann ich die Hypothese unterschreiben, dass eine „Einengung auf intentional-fremdorganisiertes Lernen erfolgt“ mit der Jost Reischmann die Situation beschreibt.

Im letzten Satz des Artikels weist er auf die Bedeutung der lebensbreiten Bildung hin.

„Lernen en passant kann man nicht bewußt „machen“. Man kann aber bewußtmachen, dass hier eine mächtige Ressource liegt, die bei der lebensbreiten Bildung nicht übersehen werden darf.“

Jost Reischmann: Lernen „en passant“ – die vergessene Dimension. In: Grundlagen der Weiterbildung. 6Jg. Heft 4/95

Nach vielen, vielen Erfahrungen in Plattformen organisationalen Lernens, die die ‚unwahrscheinliche Kommunikation wahrscheinlicher machen‘ möchte ich gerne diskutieren, ob das „Lernen en passant“ nicht doch zumindest bewußt (viel) wahrscheinlicher gemacht werden kann.

Mitten in meine historische Überlegungen mit Impulsen aus dem letzten Jahrtausend tauchte am Ende des Jahres 2022 ein Artikel von Benjamin Jaksch in meiner TImeline auf. Schon der Titel ist wunderbar anregend.

Im Artikel sehr anregende Aussagen, die zu meinen Überlegungen passen.

„Streng genommen hat sich allerdings am „Learning“ an und für sich seit ein paar Jahrtausenden nichts geändert. Denn nach wie vor bedeutet Lernen die Änderung in einem Nervensystem. Nicht mehr und nicht weniger. (…) Am Lernen selbst hat sich nichts verändert. Aber es gibt dennoch einen radikalen Shift im Bereich Learning und Development in Organisationen in den vergangenen Jahren.“ (…) Was sich in den letzten Jahren geändert hat ist nämlich nicht das Lernen, sondern die Art und Weise wie Informationen verteilt werden und wie zugänglich sie sind. Und deswegen ändert sich im „Learning“ Bereich alles.

Benjamin Jaksch „New Learning: Noch so ein Buzzword oder echte Trendwende

Die herausgestellte Bedeutung der individuellen Rolle der Lerner:in gefällt mir sehr:

Hier wird Selbstorganisation und Selbstverantwortung und ein informeller Charakter groß geschrieben. 

Denn Lernen ist kein Determinismus.

Benjamin Jaksch „New Learning: Noch so ein Buzzword oder echte Trendwende

Und dann führt er die Rolle des new Learning Creator ein.

„Ihre Aufgabe wird es sein, ihren eigenen Lernprozess nachvollziehbar zu dokumentieren, so dass Interessenten im Unternehmen die einzelnen Schritte in ihrer Karriere und in ihrer Entwicklung nachvollziehen können und gegebenenfalls es Ihnen gleich tun können.“

Benjamin Jaksch „New Learning: Noch so ein Buzzword oder echte Trendwende

Das trifft meine persönlichen Intention in der Kommunikation unserer Erfahrungen über Plattformen organisationalen Lernens auf den Punkt. Offensichtlich habe ich z.B. bei der Entwicklung meiner Newsletter Idee #Christianlernt diese Gedanken schon gekannt/ geahnt.

„Ein besonders entscheidender Faktor des new Learning Creator ist dessen Persönlichkeit. Denn Lernen ist immer Beziehungssache. Und gerade wenn es mehrere Menschen im Unternehmen gibt, die ihre eigene Entwicklung nachvollziehbar dokumentieren, so können sich Interessenten im Unternehmen auch die Personen raussuchen, die auf sie am sympathischsten wirken. Im Grunde genauso wie Menschen unterschiedlichen Menschen bei Social Media folgen. So wird es aus meiner Sicht in Zukunft vermehrt auch Learning Influencer im Unternehmen geben müssen.“

Benjamin Jaksch „New Learning: Noch so ein Buzzword oder echte Trendwende

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein intentionales Lernens, aber eben auch das „Lernen en passant“ mit sichtbaren ‚Learning Inluencer:innen‚ bewußt gemacht werden kann. Und wir haben wunderbarerweise schon viele, viele Kolleg:innen, die das haupt- und/oder nebenberuflich bereits leben. Im letzten Jahr haben wir auch deswegen das Thema netzwerkorientierte dezentrale Kommunikationsverantwortung in den Fokus gestellt.

Ich teile die Einschätzung von Benjamin Jaksch am Ende seines Artikel „Es gibt ganz klare neue Wege, die gegangen werden können, jenseits des „Buzzwords“.

Mit #DATEVistbunt & #DATEVlernt sind wir mMn auf einem dieser Wege.

Nachtrag am 26.02.2023:

Mail von Prof. Dr. Jost Reischmann:

„(…) Ich denke gerne an unsere gemeinsame Anfangszeit in Bamberg zurück – Aufbruchstimmung. Ob wir mal einige unserer Alten z. B. beim Andragogentag in Bamberg zusammenkriegen könnten? Ich hab mal das alte Andra-Album http://www.reischmannfam.de/andra-album/Startseite.htm durchgeschaut – schon interessant, was damals alles war, und die Gesichter wieder anzuschauen.

Zum lernen en passant habe ich dann doch noch einiges geschrieben. Z. B. http://www.reischmannfam.de/lit/2008-JR-Easy_Deutsch.pdf

Und in http://www.reischmannfam.de/lit/2004-Reischmann-kompositionellesLernen.pdf vom „lernen en passant“ über „lebensbreites Lernen“ zu „kompositionellem Lernen“ weitergeführt. 

Na ja, was man im Leben so alles sich ausdenkt. Aber es ist schon eindrucksvoll und stolz-machend, dann eine Rückmeldung wie deine zu erhalten!“

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