Tanja Laub hat mich eingeladen für ihr Community Buchprojekt einen Praxisbeitrag beizutragen. Eine sehr gute Gelegenheit die Erfahrungen in Sachen Community Management zu reflektieren.
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Ich bin Christian Kaiser und arbeite bei der DATEV eG in einer Stabstelle im Vorstandsbereich COO/CHRO an den Themen Diversity & Transformation. Im Rahmen dieser Funktion habe ich 2018 eine interne Community für die Themen Change & Transition gegründet (CoPCaT) und dabei persönliche Erfahrungen mit internem Community Management sammeln können.
In diesem Beitrag möchte ich – angeregt durch diese Erfahrungen in den letzten Jahren – einen übergreifenden Blick auf die Entwicklung von Netzwerken bzw. Communities of Practice (CoP) in der Organisation DATEV werfen. Ich halte es für wertvoll, sich der Bedeutung und Wirkung solcher hierarchie- und bereichsübergreifenden Plattformen organisationalen Lernens bewusst zu machen.
In den letzten drei Jahrzehnten durfte ich als Mitarbeiter in der Organisation den Aufbau und die Entwicklung von diversen Netzwerken erleben. Für den Buchbeitrag möchte ich exemplarisch das 2005 gegründete Sekretärinnen-Netzwerk ‚Sek-Net‘ und daran anknüpfend einige aus meiner Perspektive maßgebliche Communityentwicklungen beschreiben. Abschließend werde ich noch auf die Erfahrungen im Rahmen der Etablierung der neuen unternehmensweiten Community der DATEV-Assistants (CoDA) blicken und auf aktuellen Beobachtungen von unserer ‘DATEV-Community’ eingehen, die als einzige Community auch öffentlich zugänglich ist und mit über 40 000 Mitgliedern auch das größte thematische Netzwerk darstellt: Seit 2015 stellen dort Anwender:innen Fragen und teilen Hilfestellungen zur Nutzung unserer Produkte und Dienstleistungen teilen.
Ausgangslage/Kontext
Seit ihrer Gründung hat die Genossenschaft DATEV die digitale Transformation stets im Blick. Ab 1966 entwickeln und adaptieren wir Produkte, Lösungen und Dienstleistungen, um unsere Mitglieder und Kund:innen (Steuerberater:innen, Wirtschaftsprüfer:innen und Rechtsanwält:innen sowie deren zumeist mittelständische Mandanten) auf dem Weg der digitalen Transformation bestmöglich zu unterstützen. Die Förderung von Flexibilität und Geschwindigkeit sowie die Stärkung der internen und externen Lern- und Veränderungsfähigkeit standen dabei seit jeher im Mittelpunkt. Die Entwicklung von internen Netzwerken und Communities in den letzten Jahrzehnten spiegeln dabei aus meiner Sicht ein maßgebliches Moment bei der Weiterentwicklung einer lernenden Organisation im Rahmen einer nie endenden Transformation.
Lern- und Dialogformate im Transformationsprozess
Um den Herausforderungen der digitalen Transformation gerecht zu werden, hat DATEV seit der Gründung immer wieder verschiedene Lern- und Dialogformate entwickelt. Die Organisation von Weiterbildung inkl. ganzer Umqualifizierungsprogramme von Berufsgruppen (z. B. Umqualifizierung von Mitarbeitenden aus dem Druck- und Versandbereich, Quereinstieg in die Online-Softwareentwicklung) sind feste Elemente der Lernkultur im Unternehmen. Mit der zunehmenden Geschwindigkeit der Transformation verändert sich auch die Rolle und die Form des Lernens. Informelles Lernen, dezentrale Plattformen und selbstorganisierte Lernbiografien rücken immer mehr in den Fokus. DATEV hat in den letzten gut zehn Jahren – angeregt durch Entwicklungen im Bereich der Agilisierung beginnend im Softwarentwicklungsbereich – viel unternommen, um genau diese Felder unter der übergeordneten Klammer der Initiative #DATEVlernt zu entwickeln. Dabei spielen CoPs eine zentrale Rolle, insbesondere in Bereichen wie der Softwareentwicklung.
Entwicklung von Netzwerken bzw. Communitys in der Organisation DATEV
Die ‚Community‘ bzw. das Netzwerk der Sekretärinnen (‘SekNet: Gemeinsam begeistert im Netzwerk!’) ist schon einiges älter und soll exemplarisch zeigen, dass in der Organisation vernetztes selbstorganisiertes Lernen immer schon eine Bedeutung hatte.
Das Sekretärinnen Netzwerk hat sich 2005 mit dem Ziel zur gegenseitigen Hilfe gebildet und wurde von Anfang vom Top Management unterstützt. „Permanente Qualitätssicherung durch verschiedene Wissens- und Erfahrungspotenziale“ beschreibt die übergeordnete Zielsetzung.
Folgende Ziele wurden einige Jahre später nach Gründung dazu intern veröffentlicht:
Wissensmanagement
- Qualifizierung durch Weiterbildung
- Stärkung der eigenen Persönlichkeit
- Ausbau fachliches Know-how
Vereinfachung der Arbeitsprozesse
- Aktive Gestaltung und Umsetzung von Arbeitsprozessen durch Projektarbeit
- Offen für Veränderungen
- Potenziale erkennen
- Initiative ergreifen
Networking
- Bereichsübergreifender Wissenstransfer
- Modernisierung des Berufsbildes der Sekretärin
- interne und externe Kommunikation
Michael Leistenschneider (ehemaliges Vorstandsmitglied) hat dazu 2013 – also acht Jahre nach der Gründung – folgendes Statement veröffentlicht:
„Aus meiner Sicht ist das SekNet ein starkes Team – ein Team, auf das wir in der DATEV mit Recht stolz sein können. Der Netzwerkgedanke, als Grundlage eines gemeinsamen Erfahrungsaustausches, ist eine der wesentlichen Stärken, die dieses Team auszeichnet. Dabei spielt der neudeutsche Begriff „Shareconomy“, der auch das Motto der diesjährigen CeBIT war, eine wesentliche Rolle. Weg vom Haben – hin zum Teilen! Das gemeinsame Teilen von Wissen, Ressourcen und Erfahrungen ist die moderne Form der Zusammenarbeit.“
Neben diesem Netzwerk gab es parallel noch viele weitere Netzwerk, die mehr oder weniger organisiert die Ziele der bereichsübergreifenden selbstorganisierten Form des Wissensmanagement in der Organisation geprägt haben.
Mit dem Beginn der ‚agilen Bewegung‘, ausgehend aus den Organisationsbereichen der Softwareentwicklung, wurde diese Form des vernetzten Lernens sichtbarer und wahrnehmbarer in der Organisation.
Die Software Craft Community (SCC) und die Community of Practice Change & Transition als zwei der vielen Beispiele weiterer CoPs
Die SCC ist dabei ein herausragendes Beispiel für die erfolgreiche Entwicklung von Communities of Practice bei DATEV. Gegründet im Jahr 2013 von einer Gruppe begeisterter Softwareentwickler:innen zur Steigerung der Qualität im Bereich Coding, hat sich die SCC bis heute zu einem vitalen Hub für den Austausch von Wissen, Erfahrungen und Best Practices entwickelt. Durch regelmäßige Veranstaltungen wie Code Retreats, Hackathons und Konferenzen fördert die SCC nicht nur die technische Kompetenz ihrer Mitglieder, sondern auch deren Zusammenarbeit und Innovation. Mit über 1500 Mitgliedern ist die SCC heute eine der größten und aktivsten Communities bei DATEV.
Ermutigt und angeregt durch dieses und andere Vorbilder habe ich 2018, nach Übernahme der neuen Aufgabe Change & Transition, über das damalige interne Enterprise Social Network zur Gründung einer Community of Practice Change and Transition (CoPCaT) aufgerufen. Rund ein Dutzend Kolleg:innen haben sich zum Gründungstreffen eingefunden. Interessanterweise mit Vertreter:innen aus allen Organisationeinheiten, die sich damals um die Themen Wandel und Übergang in der Organisation gekümmert haben, ohne dass alle vorher aktiv angesprochen wurden.
Für mich ist die CoPCaT inzwischen eines der vielen Beispiele für die Wirksamkeit von CoPs bei DATEV. Als Plattform für den offenen Dialog über Veränderungen und Transformationen in der Organisation bietet die CoPCaT einen geschützten Raum für den Austausch von Ideen, Erfahrungen und Herausforderungen. Begonnen in den ersten beiden Jahren mit drei jeweils vierstündigen Workshop-Terminen mit jeweils ca. 100 Teilnehmenden sind heute in der Community über 600 Teilnehmende registriert. In mittlerweile alle vierzehn Tage stattfindenden, einstündigen Treffen mit offener Agenda via Videokonferenz ist die CoPCaT eine der vielen Plattformen organisationalen Lernens in der Organisation.
Entwicklungen im Bereich Communities bei DATEV
Dem Sekretärinnen-Netzwerk von vor 20 Jahren folgend gibt es in der Organisation mittlerweile über 60 Communities zu einer Vielzahl von Themengebieten. Darüber hinaus haben sich in unserem aktuellen Enterprise Social Network ‚Viva Engage‘ 115 virtuelle Communities gebildet (z. T. wie bei der CoPCaT sowohl als Präsenz- und virtuelle Community, teilweise aber auch als reine virtuelle Community in Viva Engage). Die Kommunikation innerhalb dieser Communities hat sich als eine selbstverständliche Form der Zusammenarbeit etabliert, die maßgeblich zur Stärkung der Veränderungsfähigkeit unserer Organisation beiträgt.
2023 hat mich mein damals neuer Assistent Janik Meyer angesprochen, dass er der Tradition des SekNets folgend eine Community der Management- und Business-Assistants der DATEV gründen will. Im Core-Team mit Sina Eck, Suzan Yazar und Maria Koch haben sie eigeninitiativ kommunikative Impulse gesetzt und aufbauend auf den vorhandenen Erfahrungen die Community der DATEV-Assistants (CoDA) gegründet. Das Kernteam beschreibt die zentralen Erkenntnisse:
Was funktioniert bei uns wirklich gut? Einblicke in die Community-Arbeit: Die Community der DATEV-Assistants (CoDA) ist ein lebendiges Beispiel für erfolgreiche Community-Arbeit bei DATEV. Angefangen als Initiative, die alle Rollen der Assistenz bei DATEV zusammenbringen sollte, hat sich CoDA zu einer eigenständigen und engagierten Community entwickelt. Durch regelmäßige Beiträge, Tipps und Tricks sowie Veranstaltungen wie die CoDA Talks stärken wir den Zusammenhalt und fördern den Wissensaustausch unter Assistenzen.
Zusammenarbeit mit externen Communities: Auch die Zusammenarbeit mit externen Communities spielt eine wichtige Rolle für uns. Durch den Austausch mit anderen Assistenzen und Communitys konnten wir wertvolle Impulse und Unterstützung für den Aufbau von CoDA gewinnen. Gemeinsame Veranstaltungen und Workshops ermöglichen es uns, voneinander zu lernen und unsere Netzwerke zu erweitern.
Community als strategische Partnerschaft: CoDA dient nicht nur als Plattform für den Austausch unter Assistenzen, sondern auch als strategische Partnerschaft innerhalb von DATEV. Gemeinsam mit dem HR-Bereich und anderen relevanten Akteuren arbeiten wir an der Initiierung von Weiterbildungsangeboten speziell für Assistenzen und an der Gestaltung der Unternehmensentwicklung. Ziel ist es, alle Assistenzen bei DATEV zu vernetzen und ein integratives Lernumfeld zu schaffen.
Diese junge Erfolgsgeschichte der CoDA ist für mich ein Zeichen, dass sich die Kultur in der Organisation in den letzten Jahren entwickelt hat und den Rahmen für solche Initiativen gibt.
Mit den Plattformen organisationalen Lernens, wie ‚Wenn DATEV wüßte, was DATEV weiß‘ (#wDw), den O-Tönen als wöchentlichem überbereichlichen Austauschformat, Townhall-Meetings der Vorstandsbereiche und großen teilnehmerstarken Formaten wie dem DATEV-DigiCamp gibt es kommunikative Räume, die solchen Initiativen Möglichkeit zur Vernetzung und zur Sichtbarkeit verleihen.
Die DATEV-Community
Neben den internen Communities haben wir für unsere genossenschaftlichen Mitglieder und nicht-mitgliedsfähigen Kund:innen eine Service-Community etabliert. Gegründet wurde sie vor 10 Jahren, von der Struktur her angelehnt an bereits vorhandene Newsgroup-Angebote. Heute ist die DATEV-Community mit über 40000 Mitglieder die größte digitale Austauschplattform der DATEV.
Seitdem dient die DATEV-Community als zentraler Anlaufpunkt für den Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen Mitgliedern, Kund:innen und Mitarbeitenden. Durch die Einführung neuer Funktionen und Formate wie Themenverfolgung, Tags und öffentlich zugänglichen Inhalten ist die Community zu einem wichtigen Bestandteil unseres Serviceangebots geworden.
DATEV-Kolleg:innen geben dort auch Antworten und beteiligen sich an den Diskussionen. Diese spezielle Form des direkten schriftlichen öffentlichen Kontaktes mit Anwender:innen und in unserem Fall als Genossenschaft auch mit Eignern war und ist eine spezielle Herausforderung.
Im Rahmen einer Session im Open Space DATEV (Open Space DATEV) entstand 2022 die Idee in der Community noch persönlicher und individueller zu kommunizieren. Die Community als schriftlicher Service-Kanal hat spezifische Anforderungen und dafür bräuchte es „Community Superhelden“, die ihren Themen ein Gesicht geben.
Nach mehreren Runden hat sich das Thema weiterentwickelt und eine erste Gruppe engagiert sich jetzt als „DATEV Community Mentors“ in und um die DATEV Community und hat nach innen mit einem Leitbild ihr Verständnis vermittelt:
- Wir geben DATEV und unseren Produkten ein Gesicht in der DATEV-Community.
- Wir vertreten unsere Sache, auch wenn es schwierig wird und gegen Widerstände.
- Wir argumentieren fundiert und liefern den Anwendern hilfreichen Content.
- Wir geben unsere Erfahrungen und unser Community-Wissen gerne an Kolleg:innen weiter.
- Wir gewinnen mehr Kolleg:innen, die sich trauen, in der Community selbstbewusst zu schreiben.
- Wir, die Community Mentors, ermutigen und unterstützen die anderen Autor:innen.
Fazit
Die beiden jüngeren Entwicklungen in Sachen internem und externem Community Management belegen für mich, dass die Geschichte unserer Communitys bei DATEV eine Geschichte des Wandels und des (Weiter-)Lernens ist.
Der Aufbau und die Pflege von internen und externen Gemeinschaften ist Teil der organisationalen Kommunikations- und Transformationskultur. Viele, aber noch lange nicht alle Kolleg:innen haben persönliche Erfahrungen in solchen Selbsthilfeformen sammeln können. An der Selbstverständlichkeit, solche Formen des gemeinsam verantworteten Kommunizierens und Lernens zu nutzen, gilt es weiterhin zu arbeiten.
In der Überzeugung, dass Lernen und Zusammenarbeit untrennbar miteinander verbunden sind, spielen meiner Einschätzung nach Communities bei steigender Veränderungsnotwendigkeit in Zeiten von Multitransformation eine entscheidende Rolle dabei, diesen Prozess zu unterstützen und voranzutreiben. Ich freue mich auf viele Impulse im Rahmen dieses Buches, die uns dabei anregen und weiter motivieren.
Pingback: DATEV-Community-Management im Weiterbildungsblog von Jochen Robes – Change & Transition